mobile menu
IG
close mobile menu
Über Tomorrow Instagram

(Un)freiwillige Abstinenz

Let's talk about Sex – oder wie es ist, ihn mit 23 noch nicht gehabt zu haben

A-
A
A+

Als 16-Jährige dachte ich, mit 18 habe ich es spätestens hinter mit. Mit 19 war ich mir sicher, dass ich im Studium jemanden kennenlerne und mit ihm meine ersten sexuellen Erfahrungen machen werde. Jetzt, mit 23 bin ich immer noch Jungfrau – und damit ist nicht mein Sternzeichen gemeint. In meinem Freund:innenkreis bin ich die Einzige, die noch nie Sex hatte. Es ist schrecklich und gleichzeitig vollkommen in Ordnung. Trotzdem würde ich gerne einmal in meinem Leben beim Spiel „Ich habe noch nie“ trinken können, wenn alle anderen es tun. Oder nicht nur schweigend in der Ecke sitzen, wenn sich meine Freund:innen über ihr aufregendes Liebesleben austauschen.

Im Schnitt verlieren die Deutschen ihre Unschuld im Alter von 17 Jahren. Ich bin damit statistisch gesehen mindestens sechs Jahre zu spät dran. Tendenz steigend, denn ich bin noch nicht einmal kurz davor, in naher Zukunft das erste Mal Sex zu haben. Einerseits habe ich diese Tatsache als vollkommen okay akzeptiert. Andererseits verleiht sie mir "FOMO" (fear of missing out) und das hängt vor allem mit dem großen Druck von außen zusammen, den ich immer wieder spüre. Die meisten anderen haben ihre ersten sexuellen Erfahrungen bereits als Teenager gesammelt. Ich bin noch nie mit einer fremden Person so richtig intim geworden. In einer Gesellschaft, in der die Hookup Culture immer präsenter und stärker diskutiert wird, fühlt sich Jungfrau zu sein unglaublich belastend an. Schneller Geschlechtsverkehr ist schließlich nur einen Tinder-Swipe entfernt.

Jungfrau zu sein bedeutet für mich vor allem Angst und Unsicherheit. Ich habe Angst, den Absprung verpasst zu haben und deswegen für immer am Rand einer Klippe zu stehen, die ich nie runterspringen werde. Gerade deswegen fällt mir Dating auch so schwer. Ich habe oft das Gefühl, dass es online nur um diese eine Sache geht und ich ein Sonderling bin, weil ich mich darauf nicht einlassen möchte. Ich habe es aufgegeben, gezwungenermaßen im Internet nach einem Partner zu suchen, denn ich merke immer wieder, dass es mich emotional mitnimmt, wenn jemand mit der Absicht auf eine schnelle Nummer in meine DMs slidet.

"Aber du bist doch voll attraktiv!“

Dass ich noch nie durch eine andere Person zum Höhepunkt gekommen bin, kann ich mittlerweile verkraften. Trotzdem finde ich es unangenehm, dies meinem Gegenüber zu offenbaren. Ich schäme mich jedes Mal aufs Neue. Denn mit diesem Outing kommen meist komische Blicke, Fragen und Kommentare, die meine Rechtfertigung verlangen. Ich bin es leid, meinem Date zu erklären, warum ich noch keinen Sex hatte. Besonders schmerzen allerdings Sätze wie „Das sieht man dir gar nicht an“ oder „Aber du bist doch voll attraktiv“. Überflüssig! Seit wann sieht man jemandem an, wie sehr er oder sie sexuell erfahren ist?

Während viele Frauen Slut-Shaming erleben, werde ich oft ich mit Virgin-Shaming konfrontiert.

Virgin-Shaming – ein Begriff, der kaum verbreitet ist und ein Verhalten, das nur wenige Menschen erkennen und noch weniger als demütigend verstehen. Tipps, wie ich schneller meine Unschuld verlieren kann oder Hinweise darauf, dass ich ich mit dieser einen Person doch eine besondere Chemie haben würde und wir uns einfach ein Zimmer nehmen sollten, machen mich nicht nur wütend, sondern hinterlassen Wunden. Sie steigern meine Verunsicherung.

Mir ist bewusst, dass das erste Mal selten abläuft wie in der Traumvorstellung. Trotzdem brauche ich diese eine Person bin, die mir ein sicheres Gefühl und Geborgenheit gibt. Ich brauche jemanden, bei dem es emotional Klick macht. Natürlich wäre ich gerne eine dieser Frauen, die sich sexuell frei durchs Leben bewegen. Aber ich bin eben keine Samantha Jones, auch wenn ich ein großer Fan von ihr bin.

Lange Zeit fragte ich mich, was bloß falsch mit mir sei. Ich dachte, ich sei nicht anziehend genug. Jetzt weiß ich: Niemand, der noch keinen Sex hatte, sollte sich schämen oder sich selbst unter Druck setzen lassen. Jede:r hat seine persönlichen Gründen, sein eigenes Tempo. Ich spare mich weder für die Ehe auf, noch bin ich asexuell. Beides zählt für mich zu den vielen legitimen Gründen, warum man sich dazu entscheidet, keusch zu leben. Meine (un)freiwillige Abstinenz hat ihren Ursprung eben darin, dass sich bisher einfach nicht die passende Möglichkeit geboten hat. Zwar war ich schon oft verliebt, trotzdem ist es nie passiert – und so wirklich darauf angelegt habe ich es auch nicht.

Meine Selbstzweifel konsumieren mich nicht mehr. Mittlerweile weiß ich, dass ich nicht die Einzige bin, der es so geht. Trotzdem muss normalisiert werden, dass es Jungfrauen in jedem Alter und aus den verschiedensten Gründen gibt. Ich habe aufgeben, mich deswegen in den Wahnsinn zu treiben. Alles hat seine Zeit. Und wer mich nicht so akzeptiert, wie ich bin, –nämlich unerfahren – der kriegt mich schon mal gar nicht (in die Kiste).

4m
Title
Lorem ipsum