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Period.

Warum Menstruierende sich für ihre eigene Periode oft schämen müssen, als „ekelhaft“ beschimpft werden, und warum es Zeit ist, sich dagegen zu wehren

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Ich erinnere mich noch ganz genau. Ich saß mit einer Freundin im Kletterbaum in meinem Garten, bin gerade elf Jahre alt geworden und von Bayern nach Kiel gezogen. Wir sprachen über den Sexualkundeunterricht, der nächste Woche stattfinden und das Thema Menstruation behandeln sollte. „Menstrua-was?“, ich hatte ja keine Ahnung. Ich verfiel in Schockstarre, als sie mir davon erzählte, dass wir Frauen* circa 30 bis 40 Jahre unseres Lebens bluten. Aus der Vagina. Und das einmal im Monat. In dem streng katholischen Bundesland, in dem ich aufgewachsen bin, wurde dieses Thema in der Grundschule nie behandelt, sondern stark tabuisiert. 

Jahrhunderte lang wurde Frauen* erzählt, die Periode sei etwas, wofür sie sich schämen sollten. In der Dokumentation „Period. End of Sentence“ von Rayka Zehtabchi erzählt die Hauptprotagonistin Sneha aus einem kleinen Dorf nahe Delhi, dass Frauen* während der Periode keinen Tempel betreten dürfen. Und das, wo Religion und Glaube für sie so eine große Rolle spielt. Sie müssen zu Hause bleiben, ohne sozialen Kontakt, ohne Zuneigung, ohne Würde. 

Der Ursprung des frauenverachtenden Verhaltens bezüglich der Menstruation liegt tausende von Jahren zurück und findet seine Anfänge in der Religion. Oder in den Religionen. Doch woher kommt dieses Stigma? Bluten wir Menstruierenden nicht alle mal im Laufe unseres Lebens? Und was unterscheidet Periodenblut von Blut aus Wunden auf dem Knie oder dem Arm?

Schon Aristoteles bezeichnete die monatliche Blutung als „schmutzig“ oder „unrein“ und nannte sie ein „Defizit des weiblichen Körpers“. Sowohl im Judentum, als auch im Hinduismus, wie auch im Islam galt die Frau* als unrein während ihrer Menstruation, weshalb der Mann die Frau* während der Dauer ihrer Blutung nicht berühren durfte, da auch er sonst unrein sein würde. In einigen Regionen gilt dies bis heute. Die katholische Kirche bezeichnete die Blutung als eine Strafe für die Verfehlung Evas. Die Frau* galt während der Menstruation als minderwertig und konnte vom Gottesdienst ausgeschlossen werden. Als dann im 19. und 20. Jahrhundert der Sozialdarwinismus populär wurde, galt der Mann als Spitze der Evolution – die Frau* hingegen als eine Abweichung. Die Blutung wurde deshalb als das Leid, das die physische Unterlegenheit gegenüber Männern mit sich bringt, verstanden. 

Was all diese Ursprünge gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass sie von Männern geschaffen sind. Religionen wurden von Männern begründet und werden von Männern geleitet. Ihr Gott ist männlich, ihr Pfarrer, ihr Priester, ihr Papst. Zufall? Wohl kaum in dem durch und durch patriarchalen System, in dem wir leben. Die Abwertung der Menstruation ist eine logische Begleiterscheinung der Unterdrückung der Frau*. Und nur eines der vielen Probleme, die das Patriarchat mit sich bringt.

Dank Aufklärung aber wissen wir, dass die Periode nichts Schmutziges ist. Dass wir Frauen* während unserer Menstruation nicht unrein sind. Dass niemand sich dreckig macht, der uns in dieser Phase berührt. Dennoch verhalten wir uns teilweise, sowohl Männer als auch Frauen*, so, als hätten wir die Zeit der Aufklärung nie erlebt, oder im Sexualkundeunterricht geschlafen. 

Das alles hat bis heute enorme Auswirkungen. In Indien brechen 20 Prozent der Mädchen* die Schule ab, nachdem sie zum ersten Mal ihre Tage bekommen haben. In Uganda sind es 57 Prozent. In Malawi können 70 Prozent der Mädchen* nicht zur Schule gehen, weil es dort keine Möglichkeiten gibt, sich zu waschen, oder die Binde zu wechseln. In Westafrika gehen 40 Prozent der Mädchen* während ihrer Periode nicht zur Schule, aufgrund fehlender Möglichkeiten für Menstruationsartikel oder kulturellen Ausschlussritualen. In Teilen von Indien und Nepal werden Frauen* für die Dauer ihrer Periode aus dem Haus verwiesen und in bestimmten Hütten untergebracht, oftmals sogar im Kuhstall. In Kenia nahm sich im September 2019 sogar ein Mädchen* das Leben, nachdem sie vor der ganzen Klasse von ihrem Lehrer als „schmutzig“ bezeichnet wurde, weil sie durch ihre Uniform geblutet hatte. 

Die mittelalterliche Annahme, die Menstruation sei schädlich, oder das Periodenblut sogar giftig, wurde erst Mitte der 1950er Jahre medizinisch widerlegt, hielt sich aber dennoch bis in die 70er Jahre. Deshalb durften Frauen* wegen ihrer Periode kein Blut spenden. Und auch in diesem Moment gibt es zu wenig medizinische Forschung, was die Periode und den Zyklus betrifft. Manche Menstruierende wissen immer noch nicht, was im Körper während der Periode passiert, und auch Mediziner:innen sind sich nicht sicher, welches Hormon den Zyklus auf welche Weise beeinflusst. In ländlicheren Regionen Indiens verzichten Frauen* meist ganz auf Menstruationsartikel, weil sie sich vor den männlichen Verkäufern schämen. Frauen* haben in diesen Regionen meist kein Recht auf Arbeit, also kein eigenes Einkommen. Deshalb verwenden die indischen Frauen* Stoffreste und vergraben sie vollgeblutet unter der Erde. 

Auch in Deutschland ist Period Shaming zu spüren, wenn auch nicht so extrem wie in anderen Ländern. Statements wie das von Rapper Al-Gear, der vorletztes Jahr mit einem Video auf sich aufmerksam machte, zeigen die Auswirkungen in Deutschland ganz deutlich. Er postete ein Video von sich auf Instagram, in dem er Frauen* als „ekelhaft“ beschimpfte, die Männern sagen würden, sie hätten ihre Tage. Er ging sogar so weit, dass er sagte, Frauen* sollten eingesperrt und die Periode als eine Krankheit anerkannt werden. Menschen wie er sind der Grund, dass Frauen* nicht öffentlich nach Tampons fragen, dass sie am liebsten mit Harry Potters Unsichtbarkeitsumhang durch die Stadt laufen würden, weil ihnen die Packung Binden an der Bushaltestelle aus der Tasche gefallen ist, oder sie Angst haben, dass sie durch ihre Hose bluten. Mit 12 Jahren war genau das meine größte Angst. Irgendwann bei einem Referat vor der Klasse zu stehen, und das erste Mal meine Tage zu kriegen. Oder im Sportunterricht. Horror. Die Vorstellung, dass meine gesamte Leistengegend mit nassem Rot bedeckt wäre und jede*r wüsste: Sie hat ihre Periode. Magazine wie ‚Mädchen’ oder ‚Bravo’ schürten meine Angst, und zwar mit einer kompletten Doppelseite voll mit peinlichen Geschichten zum Thema Menstruation. 

Die Läuferin Kiran Gandhi entschied sich beim Londoner Marathon 2015 bewusst, durch ihre Hose zu bluten. „Free Bleeding“ hat sich seitdem etabliert. Dabei werden weder Tampons, noch Binden, Panties oder Cups verwendet, sondern das Blut mit eigener Muskelkraft im Körper gehalten. Die Menstruierenden, die diese Methode praktizieren, wollen sich bewusst gegen überteuerte Periodenprodukte, beziehungsweise „Hygieneartikel“ wehren. Der Name allein impliziert: Wer diese Produkte nicht verwendet, ist unhygienisch. Auch die Werbung trägt zu diesem Bild bei. Die beiden am häufigsten verwendeten Wörter im Zusammenhang mit Menstruationsartikeln sind „frisch“ und „sicher“, beziehungsweise „geschützt“.

Liv Strömquist fragt sich in ihrem Comic „Der Ursprung der Welt“, ob Frauen* also im Umkehrschluss „ranzig“ und „ungeschützt“ sind, wenn sie diese Produkte nicht verwenden. "Free Bleeding" ist der Beweis des Gegenteils. Die Methode ist die wohl körper-, umwelt- und geldfreundlichste Methode überhaupt. Allein in Skandinavien werden jährlich bis zu 90 Millionen Binden verbrannt oder auf eine Mülldeponie gebracht. Das ist deshalb so schlimm, weil das Material, aus dem Binden hergestellt werden, zu 90 Prozent aus Rohöl besteht. 

Für die Frauen* in dem kleinen Dorf in der Nähe von Delhi ist eine Binde aber ein erster Schritt in Richtung Selbstbestimmung. Sie fangen dadurch an, für ihre Periode einzustehen. „Period. End of Sentence“ zeigt, wie sie ihre Binden selbst herstellen  und diese auch verkaufen. Sie machen sich unabhängig vom Mann und schaffen sich eine eigene Existenzgrundlage. Und auch Nepal hat Fortschritte gemacht: Die Verbannung von Frauen* während der Periode ist seit drei Jahren strafbar. Ein Haftstrafe von drei Monaten und ein Bußgeld von 3000 Rupien, umgerechnet 25 Euro, warten auf diejenigen, die weiterhin Frauen* aus der Gesellschaft ausschließen, während sie menstruieren. Das ist mehr als ein durchschnittliches Monatsgehalt. 

Ebenfalls höher als ein nepalesisches Monatsgehalt war die Summe, die deutsche Menstruierende bis zum 31. Dezember 2019 noch monatlich für Tampons, Binden und Menstruationstassen ausgeben mussten. Bis dahin wurden diese Produkte mit 19 Prozent versteuert. Im Durchschnitt hat eine Frau* bis zu dem Zeitpunkt innerhalb von vier Wochen 14,37 Euro für Tampons und Binden, 8,84 Euro für neue Unterwäsche aufgrund von Blutflecken und 4,97 Euro für Schmerzmittel ausgegeben. Zusammengerechnet sind das 28,18 Euro. Seit dem 01. Januar 2020 gelten Tampons und Co. in Deutschland nun endlich nicht mehr als Luxusgut und werden deshalb mit 7 Prozent versteuert. Länder wie Kenia, Kanada, Irland und sogar Indien verkaufen Periodenprodukte seit drei Jahren ganz steuerfrei. Schottland hat es sogar als erstes Land überhaupt geschafft, Menstruationsartikel komplett kostenlos anzubieten. Und auch Frankreich ist ein Vorbild in dieser Sache: Hier wurden an Universitäten Automaten angebracht, die kostenlose Periodenartikel ausgeben. Das Unternehmen „Every Month“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit dem durch Spenden erhaltenen Geld, Perioden-Pakete zusammenzustellen. Diese werden dann an Bedürftige in Großbritannien verteilt. Dort kann sich jedes zehnte Mädchen* keine Menstruationsartikel leisten. Das britische Bildungsministerium hat deshalb beschlossen in allen Schulen in England und Wales – egal ob Primary School, Secondary School oder College – seit Januar 2020 kostenlose Periodenartikel, wie Tampons, wiederverwendbare Binden und Menstruationstassen zur Verfügung stellen. 

Die jahrzehntelange Versteuerung von 19 Prozent zeigt erneut das Unverständnis gegenüber der Periode. Es stand allerdings bereits die Frage im Raum, ob die Senkung des Steuersatzes überhaupt etwas bringt. Angeblich sollen einige Periodenartikelhersteller, wie beispielsweise „o.b.“, geplant haben, ihre Preise langfristig zu erhöhen. Doch rund 3000 Tage des Lebens, bei durchschnittlich 450 Zyklen zu bluten, ist kein Luxus. Die Summe, die am Ende des Lebens einer Frau* allein durch Menstruationsartikel, Schmerzmittel und Co. entsteht, schon: rund 12.600 Euro. Auf ein Jahr gerechnet sind das circa 340 Euro. Das Stichwort hier lautet Periodenarmut, da viele Frauen* weltweit nicht die finanziellen Mittel besitzen, sich mit ausreichend Menstruationsartikeln auszustatten. Im Monat 50 Milliliter Blut aus der Vagina zu verlieren, haben wir uns aber nicht ausgesucht. 

Um noch mehr Profit aus der monatlichen Blutung zu schlagen, dachten sich im April zwei Bundeswehrsoldaten, sie bringen die allseits beliebten „Pinky Gloves“ auf den Markt. Die beiden Jungs ekelten sich vor den vollgebluteten Periodenartikeln ihrer Mitbewohnerinnen im Müll und hatten die anscheinend perfekte Lösung: Ein pinker Handschuh, mit dem Frau* den Tampon wechseln kann, um diesen dann in dem Handschuh zu verstauen und in den Mülleimer zu werfen. Auch dieser Handschuh ist ein Grund, warum Menstruierende sich weiterhin ungeachtet fühlen. Er bestärkt sogar noch den Ekel vor der Periode und sorgt dafür, dass die Scham, die mit diesem Thema einhergeht nur noch größer wird. Der „Pinky Glove“ wurde dann aber noch im selben Monat wieder vom Markt genommen. Ein Gutes hatte die ganze Diskussion um diese „Erfindung“ allerdings: Online wurde kurzzeitig intensiv über das Thema Menstruation gesprochen.
Vor allem dort werden nämlich bereits einige Steps in Richtung Toleranz und Akzeptanz gemacht. Dank der Hilfsorganisation „Plan International“ haben wir seit Oktober 2019 den Menstruationsemoji. Unter den Vorschlägen waren unter anderem eine vollgeblutete Binde, eine Gebärmutter mitsamt Eierstöcken und ein Menstruationskalender. Obwohl das Unicode Consortium einen Menstruationsemoji forderte, schaffte es am Ende nur der rote Tropfen. Dieser ist zwar nicht auf den ersten Blick als Periodensymbol erkennbar, aber dennoch eines von vielen Zeichen der Veränderung. Auch anderweitig setzt sich „Plan International“ gegen Period Shaming, vor allem in Entwicklungsländern, ein. Durch Spendenaktionen kann Mädchen* und Frauen* in Uganda, Ghana oder Ruanda geholfen werden, sich Menstruationsartikel zu leisten, oder der Bau von Waschräumen speziell für Menstruierende an Schulen finanziert werden. 

Auch verschiedene Periodenartikelhersteller wie „ohne“ oder „nixit“ beschönigen auf ihren Instagram Accounts nichts. Mit Bildern von vollgebluteten Toiletten, Tampons und co. wird das Thema offen und ehrlich angegangen. Künstlerin und Schmuckdesignerin Lily Murphy-Johnson kreierte eine Kollektion rund um das Thema Menstruation. Sie bestickte Hemden und Unterhosen mit roten Perlen und designte Ringe um Armbänder mit vollgebluteten Tampons und Binden. Die Fotografin und Journalistin Maria Andrea und Aktivistin Jenny Koos machen mit ihren Bildern von menstruierenden Frauen* ebenfalls auf das stigmatisierte Thema aufmerksam.

Es wird Zeit ihrem Beispiel zu folgen, sich öffentlich für die eigene Periode einzusetzen und mit Akzeptanz und Toleranz diesem Thema zu begegnen.  

[Anmerkung: Wir verwenden "Frau*", um mehr Menschen zu inkludieren als nur die Cis-Frau. Denn auch trans Männer können ihre Periode haben und Kinder gebären.]

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Foto Credits:

Art Direction und Styling: Lisa-Marie Geiger
Fotografie: Claudia Schröder
Make-up: Elisabeth Witenbek
Model: Leah Marleen Harding

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