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Ein Fehler, den (wir Frauen) im Feminismus machen

Sind wir unser eigener größter Feind?

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Eine kleine Anekdote aus meinem Leben: Als ich auf die Uni kam, um Modejournalismus zu studieren, begann für mich eine Reise, die mit weitaus mehr zutun hatte als mit dem Erlernen von journalistischen Darstellungsformen, Mode in all ihren Kontexten oder der Branche in all ihrer Schönheit und Hässlichkeit. Es begann vor allem eine Reise des inneren Konflikts: Wer bin ich und wer will ich sein? Zu wem will mich die Gesellschaft machen?

Feminismus wurde an dieser Hochschule großgeschrieben. Ich war überwältigt davon, wie hoch dieses Schild nicht nur von weiblich gelesenen Dozentinnen, sondern ganz besonders auch von männlichen gehalten wurde. Gut, dachte ich, es ist doch toll, dass dieser Ort und die Menschen an ihm so progressiv sind. Es dauerte nicht lange, bis diese Fassade zu bröckeln begann. Und das beschätigt mich noch immer nachhaltig. Ich erzähle euch, wieso.

Es war wie in einem klischeehaften, amerikanischen High School Movie: Auch bei uns gab es "die Intellektuellen", "die Rebellischen", "die Tussis", "die Normalos", "die Unsichtbaren" und dann eben auch noch irgendwo mich, die sich mit keiner dieser Gruppen wirklich identifizieren konnte. Vor allem die Intellektuellen und die Rebellischen kämpften ab der ersten Vorlesung Seite an Seite mit Dozent:innen für ein – für mich zu dem Zeitpunkt – völlig neu definiertes Bild von Geschlechtsidentitäten und Geschlechterrollen. Ich war mittendrin in diesem Kampf. Und heillos verwirrt. Wenn ich mir jetzt Achselhaare wachsen lassen, den Kopf rasieren und Männer in Schluppenblusen und Röcken daten muss, um eine gute Feministin zu sein, will ich keine Feministin sein. So meine Denke damals. Ich sage es jetzt ein-, und nur einmal, damit meine Worte nicht missinterpretiert werden: Ich zelebriere jede Frau mit Achselhaaren, rasiertem Kopf und Faible für Männer in Schluppenblusen und Röcken genau wie jede andere. Ich feiere jede Frau – und jeden Mann und jeden dazwischen – der sein wahrhaftiges Ich lebt. Ganz egal, wie sehr es von meinem eigenen wahrhaftigen Ich oder gesellschaftlichen Normen abweicht. Und genau hier liegt mein Problem. Dazu gleich.

Zurück in den Vorlesungsraum. Es wäre alles schön gewesen mit den Intellektuellen und den Rebellischen und den progressiven Dozent:innen, wenn ich nicht gemerkt hätte, dass es genau diese waren, die Frauen wie mich am allermeisten verurteilt haben. Manche Dinge müssen nicht ausgesprochen werden, um zu existieren. Ich spürte das. Ich, die gerne gestriegelt und gestylt, mal mit langen Fingernägeln, mal mit Extensions, mal mit XXL-Wimpern und auch mal mit Absätzen in die Uni kam, wenn ihr der Sinn danach stand. (Wohlgemerkt aber nicht so stark, als dass man sie zu den "Tussis" hätte schieben können, denn die waren in ihrer Anerkennung der anderen besagten Gruppen sowieso direkt abgeschrieben.) Ich hatte das Gefühl, mich den Mädels mit nachhaltigen Rucksäcken aus Ananas-Textil und den Honoré de Balzac lesenden "guten Feministinnen" stets beweisen zu müssen. Ich war eine der besten Studentinnen meines Jahrgangs, gab immer 200% und erledigte meine Aufgaben mit Sorgfalt und Verlässlichkeit. Dozent:innen lobten mich am laufenden Band für hervorragende Leistungen, man prophezeite mir "die große Karriere". Und trotzdem: Die Anerkennung der "guten Feministinnen", sie blieb bis zuletzt aus, glaube ich, und ich glaube auch, dass ich das niemals hätte ändern können, egal, wie viel Grips sich hinter Make-up und nicht Vintage gekaufter Kleidung versteckte.

Ein paar Jahre später schaue ich auf diese Zeit zurück und stelle fest: In diesem vermeintlichen Kampf der vermeintlichen Bilderbuch-Feministinnen werden zu viele Frauen zurückgelassen. Feminismus, Girls support Girls, Womanpower, all dieser ganze Kram – sollten diese Begriffe nicht inklusiv sein? Sollten uns diese Begriffe nicht dabei helfen, uns gegenseitig zu stützen, zu schützen, zu heilen und zu akzeptieren? Uns, die Intellektuellen und die Rebellischen und die Tussis und die Normalos und die Unsichtbaren und die dazwischen. Uns alle.

Was bedeutet Frausein eigentlich und warum maßen wir uns an, die Antwort zu kennen?

Seit Anbeginn der Zeit wird uns Frauen diktiert, wer wir zu sein haben, was wir zu tun haben, wie wir auszusehen haben. Schon Eva wurde vorgeschrieben, den Paradiesapfel nicht essen zu dürfen. Jahrtausende später wurden Frauen in alle erdenklichen vermeintlich idealen Körper- und Lebensformen gepresst, um "richtig" zu sein. Heute gilt dies, morgen jenes, und was übermorgen gilt, stet auch schon fest. Who the fuck can keep up with this? Nobody!

Auf die Frage, wie eine Frau sein muss, gibt es so viele Antworten, dass die einzig logische Schlussfolgerung lauten muss: Keine Antwort ist allgemeingültig. Dass wir also einem ungeschriebenem Gesetz dessen, wie wir als Frauen sein sollen, nacheifern und diese Ideologie auf uns und andere übertragen, macht einfach keinen Sinn. Alles, was es "macht", ist, dass wir damit nicht nur uns selbst, sondern auch uns gegenseitig bekämpfen.

Feminismus darf klassische Rollenbilder nicht verurteilen – sind wir denn wirklich frei von internalized misogyny?

Auch ich war lange nicht frei von dieser verinnerlichten Frauenfeindlichkeit ("internalized misogyny"), bin es vielleicht immer noch nicht vollständig, und es schmerzt mich, dies öffentlich kundzutun. Aber vielleicht ist dieser Bewusstseinsprozess genau der Schritt, den ich – und auch du? – benötigen. Denn auch ich meißelte mir innerhalb der letzten Jahre mein ganz eigenes Bild der "guten Feministin" – und sie schloss diejenigen aus, die einen anderen Lebensweg wählten als meinen: Diejenigen, die nicht wie ich in eine Großstadt zogen, um eine große Karriere zu verfolgen, sondern nach der Schule im gleichen Vorort blieben, in dem sie aufwuchsen, ihren Nachbarn heirateten und schon mit 28 Mütter zweier Kinder und Besitzerin eines eigenen Hauses am Waldrand des Dorfes waren. Ich blickte auf diesen Frauen mit Missmut und Verachtung, empfand sie als Menschen mit kleinem Horizont. Nein, nein! Was für ein riesiger Haufen Scheiße. Wie anmaßend von mir! Das ist nicht die Frau, die ich sein möchte. Ich bin nicht besser als jene Frauen, die ihren Lebensentwurf als Ehefrau, Hausfrau und Mutter zeichnen. Ich bin auch nicht besser als jene Frauen, die sich gerne für Schönheitsoperationen und gegen "Natürlichkeit" entscheiden. Ich bin ohne jede Wertung einfach nur anders als jene Frauen.

Dieses gegenseitige Bekriegen unter Frauen kotzt mich an. Das wurde mir einmal mehr klar, als ein Unterwäschelabel, mit dem ich zusammenarbeite – eines, das seit jeher für Bodypositivity kämpft und Frauen in allen Körperformen zeigt – vor einiger Zeit ein Foto eines Models postete, das bei ihrem Aussehen sicherlich durch den ein oder anderen chirurgischen Eingriff nachhalf. "Wie könnt ihr es wagen, so ein Frauenbild zu promoten?", "Schämt euch! Keine Frau sieht so aus!", "Durch solche Postings sorgt ihr dafür, dass sich Frauen, die anders aussehen, beschissen fühlen!". Die Kommentarspalte unter diesem Foto war gefüllt von tobender Wut, so sehr, dass es mir Gänsehaut bereitete. Die Avatare hunderter Frauen prügelten verbal auf eine Frau ein, die nicht ihrer Vorstellung einer "guten Femistin" entsprach. Und das kann nicht sein. Es darf nicht sein.

Ich finde, wir alle sollten uns an einem großen, großen Tisch versammeln. Und dann sollten wir uns gemeinsam diesem Bewusstseinsprozess hingeben, damit wir unsere verinnerlichte Frauenfeindlichkeit Schicht für Schicht ablegen können. Damit wir all diesen Frauen, die abweichen von unserem eigenen Bild des Frauseins, in die Augen schauen können und sagen können: Ich sehe dich. Ich höre dich. Ich schätze dich. Ich unterstütze dich. Ich nehme dich so, wie du bist. Es ist mir egal, wie du aussiehst, es ist mir egal, wen und wie du liebst, es ist mir egal, wie du deine Karriere, dein Privatleben und dein Äußeres gestaltest. All das ist mir egal, solange du genau das Gleiche tust: mich siehst. Mich hörst. Mich schätzt. Mich unterstützt. Und mich so nimmst, wie ich bin.

Ich wünsche mir, mit Tränen in den Augen, nichts sehnlicher als eine Welt, in der wir Frauen aufhören, uns etwas anzutun und endlich damit anfangen, uns gutzutun.

7m
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