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HEUL DOCH!

Warum Babys weinen sollen und wieso kontern in einer schreiend komischen Gesellschaft lebensnotwendig ist

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ICE 372: "Ihre Ankunft ist wieder pünktlich. 15:42 Uhr in Hamburg Dammtor." Jackpot! Eine Pushnachricht, die nicht nur Rarität hat, sondern an einem heißen Sommertag im August die Erlösung bringt, endlich aus einem wieder mal völlig überfüllten ICE am Ziel aussteigen zu können und einen Zug voller Menschen ohne Manier hinter sich zu lassen.

Ich bin Frizzi, seit 9 Monaten frisch gebackene Mutti und habe an diesem besagten Sommertag bis 15:42 Uhr gute 6 Stunden gemeinsam mit meinem Freund und Vater unseres Juniore damit verbracht, fremde Menschen im Zug zurückzustreicheln oder fernzuhalten.

Credits: @tkay_media

Bevor ich Mutter wurde, habe ich mir recht wenig Gedanken darüber gemacht, wie sich mein Alltag mit Baby in der heutigen Gesellschaft gestalten wird, denn mit Babybauch machen dir (laut meiner Erfahrung) alle Platz, alle strahlen dich an und man erfährt das Maximum an Hilfsbereitschaft. Ist das Baby erst einmal raus, finden sich auch dann Menschenmassen der Begeisterung – bis das kleine Wesen anfängt auf seine Art zu kommunizieren: OMG! Es weint!

Von 0 auf 100 wird aus deinem kleinen Baby nämlich plötzlich ein Es. Ein Störfaktor. Ein Biest, welches sich rausnimmt zu weinen. „Weinen? Aber doch nicht hier! Um diese Uhrzeit. In dieser Tonlage! “

Genau das war die Reaktion einer Mitfahrerin im ICE 372, als Juniore nach 6 Stunden Zugfahrt bei 30 Grad zwischen den Haltestellen Hamburg Hauptbahnhof und Hamburg Dammtor anfing lauthals zu schreien. Wir als Eltern waren stolz auf ihn: Er hatte 6 Stunden auf engstem Raum super gemeistert ohne große Beschwerde – und das obwohl ihn gut 17 fremde Menschen versuchten zu streicheln, sein Dasein kommentierten und aus jeglichen umlegenden Sitzplätzen die Köpfe immer wieder aufs Neue hervorschossen mit „Uhlulu und Peek-a-boo“.

Eine Zugfahrt mit Ruhe? Keine Chance. Und somit steht dem kleinen Kerl (und jedem anderen Baby auch) es mehr als zu, sich dann kurz vor dem Ziel auch mal zu beschweren. Er hatte – genau wie wir Erwachsene oft auch – einfach keinen Bock mehr auf die Deutsche Bahn. Was auf völliges Unverständnis der Mitfahrerin stieß, die dann kopfschüttelnd erst unser Baby und dann uns als Eltern beschimpfte. Früher hätte ich einfach nichts gesagt und mir meinen Teil gedacht. Mittlerweile bin ich der Überzeugung, dass man auf solche Kommentare auch kontern muss, denn Babies sollen weinen. Wie würden wir denn sonst jemals erfahren, ob es ihnen gut oder schlecht geht? Also verbleiben wir mit dem Gegenkommentar: „Waren Sie nicht auch mal ein kleines, hilfloses Wesen? Ach Moment, das sind Sie anscheinend immer noch, sonst würden Sie jetzt nämlich einfach den Wagon wechseln, anstatt hier pöbelnd zu pausieren.“

Wenn es darum geht, die Wohnung zu wechseln, gestaltet sich das schon schwieriger. In einem Mehrfamilienhaus in Mitten auf dem Hamburger Schulterblatt lebend grooven wir uns also mit Baby ein. Die ersten Koliken kommen, Juniore hat Schmerzen und weint und weint und weint. Man leidet mit. Als Mutter. Als Vater. Anscheinend aber auch als Nachbarn. Anstatt um 17:30 Uhr wochentags sich dann als Nachbarn einfach mal kurz die Kopfhörer zu schnappen oder eine Runde um den Block zu gehen, wird zurückgeschrien und getrampelt, denn ein weinendes Baby? Aber doch nicht hier. Um diese Uhrzeit. In dieser Tonlage. Ich wiederhole noch einmal: In einem Mehrfamilienhaus lebend in Mitten auf dem Hamburger Schulterblatt um 17:30 Uhr wochentags. Ding-Dong. Ich klingle kurzer Hand bei besagter Nachbarschaft, um zu fragen, ob alles in Ordnung sei, nachdem ja offensichtlich und lauthals (zurück) geschrien wurde. Aber natürlich stoße ich auf Ignoranz. Die Tür bleibt einem verwehrt. Also switche ich kommentarlos zurück in unsere Wohnung und wechsle die Playlist von „Don’t know Why“ by Norah Jones zu „Fuck You“ von Lily Allen und freue mich gehässigerweise, wenn unser Boy zukünftig mitten in der Nacht anstatt am helllichten Tag losbrüllt.

„Endlich eine Mutter, die es verstanden hat." Mit diesem Satz begrüßte mich die Chefärztin der Kinderklinik Bremen-Mitte als ich zu meinem schreienden Baby, was gerade eine Kanüle am Kopf gelegt bekam, sagte „Es ist okay, dass du weinst. Du darfst dich beschweren. Das tut weh.“

Ich habe bei Weitem nicht alles verstanden, aber ich bringe doch eine ausreichende Portion an Verständnis mit, ein guter Geselle in dieser Gesellschaft zu sein. „Sie glauben gar nicht, wie oft ich hier Eltern haben, die ihre 4 Monate alten Babys wegen des Schreiens ermahnen, während wir ihnen eine Spritze in den Oberschenkel jagen." Verständnis darüber, dass gewaltsame Kommunikation gegenüber unserem Baby und das Anpöbeln einer bereits aufgebrachten Mutter genau das Gegenteil bewirkt. Somit wäre eine Portion Verständnis der Gegenseite auch der Schlüssel zu einer entspannten Elternzeit oder gar einem entspannten Leben.

Kontern ist lebensnotwendig, denn gerade mit Schlafentzug katapultieren einen Hasskommentare, die in einem brodeln, genau so schnell in die Bluthochdruckregion wie dein eigenes Baby vom Süßling zum Biest verwandelt wird und am Ende steht man als Mutter selbst da: Weinend. Hier und jetzt. Egal um welche Uhrzeit. Und das alles nur, weil sich Mitmenschen im Ton vergriffen haben.

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